Auf meinem Grundstück in Cannero am Lago Maggiore scheinen sich die Calabrone – ihr italienischer Name – zu Hause zu fühlen. Ich sehe an einem Tag Dutzende, zur Hochsaison Ende August / Anfang September Hunderte. Die wenigen grossen Tiere im späten Frühling dürften sich versorgende Königinnen sein, die dann später häufigeren, aber etwas kleineren Tiere die Arbeiterinnen. Ihre Lieblingsfrüchte, die Massierungen von Hornissen auslösen, sind die reifen Feigen, aber auch die blauen Früchtchen des Efeus. Auch reife Trauben sind sehr begehrt. Unsere Trauben sind für die Wildtiere reserviert. Diese heissen Wander- und Hausratte, Siebenschläfer, Dachs und Fuchs. Alle kommen vorwiegend in der Nacht zur Jause. Das Aufstellen einer Fotofalle macht solche Beobachtungen möglich.

Die Hornissen sind gegenüber dem Menschen friedliche Tiere. Beim Pflücken von reifen Feigen berührte ich auch schon versehentlich Hornissen, ohne Folgen. Auch die häufigen Begegnungen im Garten verliefen bisher alle glimpflich. Nur einmal ging es schief. Beim Zurückschneiden eines Brombeerastes in einer Lorbeerhecke attackierte mich eine Hornisse mehrfach und stach mich in die Oberlippe. Nach wenigen Minuten des empfindlichen Schmerzes sah ich bald aus wie Quasimodo, der Glöckner von Notre-Dame. Es löste eine allergische Reaktion aus, das Gesicht war verquollen. Am Abend ging die Schwellung etwas zurück, um am Morgen wieder anzuwachsen und dies während dreier Tage.

Auch auf der Terrasse gibt es ihre Kurzbesuche, allerdings ohne Mitbeteiligung am Essen. Mir waren nächtliche Flüge der Hornisse unbekannt. Der abendliche Esstisch auf der Terrasse wird durch eine Lampe mit einem Blechschirm beleuchtet. Dort wurden in den Abendstunden Hornissen von der Lichtquelle offensichtlich angelockt. Ihre Anwesenheit im Lampenschirm erinnerte an ein Trommelfeuer. Darum wird der Tisch abends nicht mehr beleuchtet.

Ebenfalls von der Terrasse aus fand eine weitere spezielle Beobachtung statt. Ich hatte vor wenigen Jahren im nahen Dachfirst eine starke Wespenkolonie. Vor deren Nesteinflug patrouillierte jeweils eine Hornisse und zack fing sie Wespen im Genick. Sie liess sich jeweils einige Meter mit der Beute fallen und setzte geordnet hangparallel den weiteren Sinkflug fort. Nach 1-2 Minuten war jeweils wieder eine Hornisse am Nesteingang der Wespen und das Jagd-Prozedere begann wieder, wobei nicht jeder Angriff auch erfolgreich war. Ich hörte nach etwa 28 mal zu zählen. Eine Hornissen-Population soll jeden Tag ein halbes Kilo Beute ins Nest abführen. Das entspricht dem Futterbedarf von sechs Meisenfamilien. Damit helfen Hornissen mit, Massenauftreten von «Schädlingen» zu verhindern und gelten besonders für den Wald als nützlich. Um sie zu fördern, sollte der Totholzanteil und die Anzahl von Höhlenbäumen möglich hoch gehalten werden, was auch den Fledermäusen und vielen weiteren Tierarten zu Gute kommt.

Hoffen wir, dass in der öffentlichen Wahrnehmung das bisher gefürchtete Insekt die Wandlung zum friedfertigen Nützling schafft. Für mich ist die Hornisse als wärmeliebende Art neben den Palmen der augenscheinliche Vertreter des insubrischen Klimas der oberitalienischen Seen.

MFB  1.9.2016

Nachtrag vom 25.9.2025

Seit der Abfassung der Notiz zu den Hornissen sind bald zehn Jahre vergangen. Was gilt es seither über sie zu berichten? Sie sind selten geworden. Ihre stete und häufige Präsenz im Garten gibt es nicht mehr. Sie nagen nicht mehr so ausgiebig an den verschiedenen Früchten, sei es die Feige oder die blauen Beeren des Efeu, wie einst. In den letzten Jahren war sie eine ausgesprochene Seltenheit geworden. In diesem Sommer 2025 haben sie sich erstmals wieder im Nahbereich gezeigt. Sie besiedeln ein Nest in der Dachtraufe meiner Hausterrasse. Ich heisse sie hier willkommen, da sie ja im Alltag sehr friedlich sind und einen beim Essen nicht belästigen.

Weiniger willkommen ist eine nahe Verwandte – die asiatische Hornisse. Sie stammt aus Südostasien und wurde wohl durch eine einzige Königin 2004 nach Frankreich eingeschleppt, wo sie sich rasch verbreitete und ihren Lebensraum auch nach Spanien ausdehnte. 2014 tauchte sie erstmals in Deutschland bei Freiburg auf, 2019 in der Deutschschweiz und 2020 auch im Tessin. Sie kann grosse Völker mit sehr grossen Nestern mit bis zu 10‘000 Tieren bilden. Man fürchtet vor allem um die Bienen, die sie an ihren Stöcken jagen. Sie brauchen die Proteine für die Larvenernährung. Da sie als invasive Art gelten, werden sie bekämpft. So dürfen in der Schweiz ab 1. Oktober 2025 auch Biozide im Wald eingesetzt werden. Bisher ist wenig über Aggressivität gegenüber dem Menschen bekannt. Attackierte Wanderer dürften ihrem Nest zu nahe gekommen sein. Noch habe ich in Cannero keine asiatische Hornisse gesehen. Sie ist wesentlich dunkler als ihre europäische Verwandte.