
„Inselsehnsucht ist eine eigene Form von Besessenheit. Es gibt Menschen, für die sind Inseln unwiderstehlich. Allein das Wissen, sich in einer kleinen, vom Meer umgebenden Welt zu befinden, versetzt sie in einen unbeschreiblichen Rauschzustand“
Lawrence Durrell (britischer Schriftsteller 1912-1990)
40% aller Arten brauchen Feuchtgebiete als Lebensraum. Der Feuchtgebietsverlust geschieht dreimal schneller als der Waldverlust auf Erden. 50% der mediterranen Feuchtgebiete sind seit 1970, also in meiner aktiven Berufszeit, verschwunden. Das ist mit ein Grund für mich, mich mit diesen Biotopen zu beschäftigen, hier mit einem Fokus auf die griechischen Inseln.

Warum Inseln in Griechenland? Ich habe diesbezüglich zwei Vorlieben entwickelt: die Hellenophilie, also die griechische Kultur und Natur schätzend und die Nissomanie, von nisos = griechisch Insel, verbunden mit mania und damit Inselsehnsucht. Beides in Kombination sorgte für eine lange Kontinuität von Inselbesuchen. Es begann 1971 mit einer ornithologischen Exkursion auf die Nordsporaden, wo wir bis nach Piperi im heutigen Meeres-Nationalpark zur Heimat der Mittelmeer-Mönchsrobbe vorgestossen sind. 1975 besuchten wir die Insel Samos und inzwischen haben wir fünfzig griechische Inseln naturkundlich besucht. Unsere Forschung schliesst vor allem die Flora und Fauna ein, im Besonderen die Orchideen sowie Amphibien und Reptilien. Fokussiert beschäftige ich mich mit den Feuchtgebieten auf den Inseln.
Die naturkundlichen Reisen nach Griechenland und ihre Inselwelt
Eine Schilderung der Bedrohung der Feuchtgebiete auf den griechischen Inseln findet sich in meinem Webpage-Beitrag vom 3.1.2020 (www.mariobroggi.li/bedrohte-biologische-vielfalt-auf-griechischen-Inseln). Im vorliegenden Beitrag wird das Anliegen mit Darstellung des Feuchtgebietsinventars des WWF-Griechenland für die griechischen Inseln und meine diesbezüglichen Erfahrungen damit weiterentwickelt.
Zurück zu den Anfängen: wir starteten die naturkundlichen Exkursionen mit dem damaligen Vorstand der Botanisch-Zoologischen Gesellschaft Liechtenstein-Sarganserland-Werdenberg 1972 auf die italienische Halbinsel Gargano, bekannt für ihren Orchideenreichtum. Wir dehnten dann die jährlichen Exkursionen über den ganzen Mediterranraum inkl. Kanarische Inseln und Marokko aus, konzentrierten uns aber bald auf die griechischen Inseln. Es soll über 3‘000 Inseln, Inselchen und Riffe in griechischen Meeresgewässern geben. Gemäss Volkszählung des Jahres 2011 sind davon 113 Inseln ganzjährig bewohnt, wovon wir bisher 49 besuchten. Dazu kommt die seit 1923 türkische Insel Gökçeada, die von Griechen bewohnte Insel Imbros nahe der Dardanellen. Damit hat die Zahl der besuchten Inseln bis zum Jahr 2025 50 erreicht.
Neben touristischen Besuchen ergaben sich weitere Gelegenheiten für fachliche Exkursionen nach Griechenland. Dies war ein Gutachten für den Europarat für den Vai-Palmenstrand im Osten Kretas, wo es über 5‘000 Kretische Dattelpalmen gibt und mit dem Tourismus Konflikte bestanden. Für die Samariaschlucht, ausgezeichnet mit dem Europa-Diplom des Europarates, durfte ich die fällige Diplomerneuerung begutachten. Der 17 Kilometer langen eindrücklichen Schlucht im Nationalpark gleichen Namens wurde 1981 das europäische Diplom verliehen. Ich erlebte im Beisein der Parkwächter ausserhalb der üblichen Besuchszeiten Begegnungen mit den Agrimi, den dortigen Wildziegen, und dem Bartgeier. Mit der 2001 erfolgten Berufung in den Stiftungsrat der schweizerischen MAVA-Stiftung wurde der Griechenland-Bezug nochmals verstärkt. Die finanzkräftige Stiftung von Dr. Luc Hoffmann, einem Erben aus der Roche-Familie, war im Mediterranraum und damit auch in Griechenland tätig. Die MAVA Stiftung unterstützte den WWF Griechenland und den Ausbau der Nationalparke mit u.a. Prespa, Kerkini, Vikos-Aoos und Dadia. Diese Projekte wurden vom Stiftungsrat jeweils besucht und so lernte ich auch das griechische Festland besser kennen.
Zur Gefährdung der Feuchtgebiete auf Inseln
Mit der MAVA-Stiftung konnte ich auch meine Insel-Erfahrungen beim WWF-Griechenland einbringen. Ich wünschte mir angesichts der Bedrohung der Feuchtgebiete ein Inventar der Feuchtgebiete auf den griechischen Inseln.
Die meisten Inseln sind klein bis mittelgross und gebirgig. Sie haben darum ein kleines Einzugsgebiet für die Fliessgewässer. Ausserhalb des Winterhalbjahrs fliesst kaum Oberflächenwasser. Darum sind Feuchtgebiete auf Inseln selten; sie finden sich am ehesten im Mündungsbereich der Fliessgewässer zum Meer. Durch die Meeresströmungen und Winde kann eine Strandwallbildung erzeugt werden, die den Auslauf der Fliessgewässer ins Meer behindert. Bei geringer werdendem Wasserzustrom ergibt sich durch die Sand-Blockade ein Rückstau, der eine zumindest saisonale Feuchtgebietsbildung zulässt. Diese Lebensräume sind für die wasserliebende Tier- und Pflanzenwelt wie erwähnt auf den Inseln selten, aber sehr bedeutsam. Sie bilden auch Trittsteine für ziehende Vogelarten. Solche Standorte sind meist isoliert gelegen und kaum miteinander vernetzt.


Süsswasser kann sich in felsigen Kolken der Fliessgewässer im Ober- und Mittelauf länger halten. Weitere Lebensräume für aquatische Tier- und Pflanzenarten gibt es auch in künstlich errichteten Wasserstellen, die der Landwirtschaft dienen. Das sind offene Zisternen, Brunnen und ausgegrabene Wasserlöcher für die Weidetiere, sie ermöglichen punktuelle Feucht-Lebensräume.
Die Gefährdung dieser Lebensräume ist evident. Die Landwirtschaft bedient sich zur Bewässerung ihrer Kulturen durch Wasserausleitung mit kilometerlangen Schläuchen, planiert Mündungsbereiche zur landwirtschaftlichen Nutzung und zerstört damit den Deltabereich. Die traditionellen Betriebsanlagen zur Wasserrückhaltung mit den offenen Zisternen werden immer weniger unterhalten und durch Grundwasser-Pumpen ersetzt, wodurch sie ihre Funktionen als Lebensräume für hygrophile Arten verlieren.


Der Tourismus seinerseits gefährdet mit seinen benötigten Infrastrukturen die Fliessgewässerdeltas mit seinen Ansprüchen an die drei S – Sonne, Strand und See. Die Feuchtstandorte verringern sich massiv und verlieren ihre biologische Vielfalt. Dies habe ich in den letzten Jahrzehnten am Beispiel der Vorkommen der beiden Sumpfschildkröten-Arten, der europäischen Sumpfschildkröte und der Kaspischen Bachschildkröte, festgehalten und in einem früheren Beitrag dargestellt (mariobroggi.li/bedrohte-biologische-vielfalt-auf-griechischen-inseln).
Das WWF-Inventar der Feuchtgebiete für die griechischen Inseln
Griechenlands Festland besitzt ausgeprägte Flussdeltas wie diejenige von Evros oder Nestos, die einen naturkundlichen Reichtum aufweisen. Sie stehen im Zentrum der naturkundlichen Betrachtung und ihre Erhaltung erfordert entsprechende Aufmerksamkeit. Darum zögerte der WWF-Griechenland, das grosse Unterfangen eines Inventars der Feuchtgebiete auf griechischen Inseln anzugehen. Erst die mehrheitliche Finanzierung dieses Unterfangens durch die MAVA Stiftung ermöglichte eine Bestandesaufnahme. Es zeigte sich bei der Kartierung bald, dass die Gefährdung der Feuchtgebiete alarmierend ist. Mindestens 45 Feuchtgebiete sollen gemäss WWF in den letzten drei Jahrzehnten total zerstört worden sein und nur zehn Prozent der erfassten Objekte erwiesen sich als intakt. Feuchtgebiete gelten als Niemandsland, als Restort für andere Verwendungszwecke, häufig für Deponien aller Art.


Die Inventararbeiten wurden im Jahr 2004 aufgenommen und umfassten vorerst die Ägäis, später folgte Kreta und abschliessend die Ionischen Inseln. Die aufwendigen Kartierungen konnten im Jahr 2013 abgeschlossen werden. Es wurden 818 Objekte grösser als 0.1 ha auf 75 Inseln erfasst, davon 526 Objekte auf 64 ägäischen Inseln, 192 auf Kreta und 100 auf acht Ionischen Inseln. 600 dieser erfassten Objekte waren natürliche Lebensräume, 218 wurden künstlich meist als Wasserreservoire errichtet. 88% aller Inventarobjekte fanden sich an den Küsten. Alle erfassten Objekte bedeckten zusammen rund 100 km2, nur 23 waren grösser als 100 ha und 425 waren kleiner als zwei Hektaren. Die Inventarergebnisse sind auf dem Portal des WWF-Griechenland frei einsehbar (www.ygrotopio.gr). Nur 2 der 588 erfassten natürlichen Lebensräume besassen vorgängig des Inventars einen Schutzstatus mit Management. Der WWF setzte sich seit der Inventarisierung intensiv für Schutzlegungen mit entsprechender Information ein und warb für deren Erhalt. Im Juni 2012 wurde ein Präsidialerlass unterzeichnet, der 380 Lebensräume auf 59 Inseln unter Schutz stellte.


Wie findet man Feuchtgebiete auf Inseln?
Blicken wir auf die vergangenen 50 Jahre zurück. Früher gab es von den einzelnen Inseln nur handgefertigte Kartenwerke. Mit GIS Mapping hat sich die Darstellung mit naturkundlichen Aussagen massiv verbessert. Man findet die Fliessgewässer eingezeichnet, ebenso die Quellen, Zisternen und allfällige Wassermühlen wie auch Sandstrände. Das ermöglicht eine Beurteilung der hydrologischen Rahmenbedingungen für jedes Einzugsgebiet. Satellitenbilder von Google Earth erlauben eine Beurteilung, ob es Hinterwässer an den Fliessgewässermündungen gibt. Auf das Inventar der Feuchtgebiete ist Verlass. Es wurden für jede Insel mit hoher Trefferquote die Feuchtlebensräume erfasst und ihre Rahmenbedingungen in einem Protokoll für jedes Objekt festgehalten.
Die meisten Kartierungen stammen aus dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. Einige der festgehaltenen Objekte gibt es inzwischen nicht mehr. Dies betrifft vor allem Hinterwässer an Fliessgewässermündungen. Teils sind wegen der erfolgten Planierungen nicht einmal mehr Spuren als Hinweise auf frühere Feuchtgebiete mehr ersichtlich. Diese Zerstörungen sind meist auf touristische Erschliessungen zurückzuführen. Das Auffinden dieser Feuchtlebensräume war eine gewaltige Aufgabe. Für eine vertiefte Lokalanalyse fehlte offensichtlich die Zeit. Darum sind Hinweise auf Arten, so insbesondere Amphibien- und Reptilienvorkommen, selten, was für ein späteres Monitoring bedauerlich ist. Eine zeitnahe Revision ist wünschenswert.

In den letzten Jahrzehnten ist der Zerfall der traditionellen landwirtschaftlichen Infrastrukturen augenfällig. Das betrifft vor allem die offenen Zisternen. Diese wurden entweder in Geschlossene umgebaut oder aber zerfallen mangels Gebrauch. Die Landwirtschaft mit der früheren Eigenversorgung wird auf den meisten Inseln als Folge der Abwanderung aufgelassen. Damit fallen auch die anthropogenen erstellten Lebensräume für wasserliebende Arten weg.
Augenscheinlich ist auch der Klimawandel. Der jeweilige Inselbesuch musste mit der Zeit um ca. drei Wochen vorverlegt werden, um noch blühende Orchideen zu finden. Die zunehmend trockenen Winter alimentieren die wenigen verbliebenen Feuchtgebiete nicht mehr ausreichend mit Wasser. Damit entfallen Reproduktionsräume für Amphibien. Die meist baumlosen Inseln halten allfällige Starkniederschläge – eine weitere Folge der Klimaveränderung – nicht zurück. Dieser Verlust der biologischen Vielfalt ist leise, aber markant, wird jedoch im öffentlichen Bewusstsein kaum zur Kenntnis genommen. Der Übertourismus auf einigen Inseln mit horrendem Wasserverbrauch prägt im Umweltbereich die Diskussion. Die „Flagship-Secies“ Mönchsrobbe und die Unechte Karettschildkröte sind im Artenschutz ein Thema. Positiv zu vermerken sind vermehrte naturnahe Bestrebungen bei der landwirtschaftlichen Produktion in Anlehnung an den Biolandbau. Dies wird von Rückwanderern aus den Ballungsräumen von Athen und Thessaloniki ausgeführt.
Für die biologische Vielfalt sieht es auf den griechischen Inseln nicht günstig aus, es fehlt ein entsprechendes Bewusstsein. Das sind schlechte Vorzeichen für den weiteren Erhalt dieser Feucht-Lebensräume. Mit dem Präsidialerlass des Jahres 2012 wurde zwar ein Zeichen gesetzt. Der verfügte Schutz wird im Falle des einzelnen Biotops im Gelände nicht durch gesetzte Massnahmen ersichtlich. Nach wie vor werden diese Flächen als Ablagerungsorte missbraucht. Meine letzte Erinnerung dazu stammt von Mykonos im Jahr 2025. Die Tiere einer kleinen Population der Kaspischen Bachschildkröte sonnten sich auf Styroporabfall im Endlauf des Gewässers. Auch dieser Lebensraum steht auf der Liste der geschützten Objekte, eine starke Symbolik für die herrschenden Zustände.

Quellen
Broggi, M.F. (2024): Update on the herpetofauna of Syros (Cyclades, Greece) and current land-use and climate change threats. Herpetozoa, Wien, 37: 339-346.
Paragamian, K.; Giannakakis, T.; Georgiadis, N.; Catsadorakis, G.; Pourganidis, D.; Kardamak, A.; Noiodou, M.; Vrettou, F.; Tziritis, E.; Pediaditi, E. (2017): A5 – island-wetlands of Greece – From ignorance to international recognition. 4.-6.5.2017 12th Society of wetland Scientist Europe Chapter Meeting, p. 179-188.
WWF-Greece (2014): Conservation of the island wetlands in Greece. 70 p.
Mario F. Broggi, 25.11.2025