Flussregenpfeifer am Alpenrhein (Foto: Rainer Kühnis)

Auen sind unsere Regenwälder. Sie beherbergen die Mehrheit an biologischer Vielfalt in unseren Breiten. Im Verlauf der letzten beiden Jahrhunderte sind 90% dieser Lebensräume durch wasserbauliche Massnahmen und Rodungen verschwunden und damit auch ihre Artenvielfalt. Das im Jahr 2011 revidierte Eidgenössische Gewässerschutzgesetz sieht vor, dass Teile des Raums wieder zurückgegeben werden soll und es haben Revitalisierungen begonnen. Da spielt ein Vögelchen, das rund 30bis 50 Gramm wiegt und eine Flügelspannweite von rund 40 cm hat, eine grosse Rolle. Es ist eine „Flaggschiff-Art“ für intakte, dynamische Auen und heisst Flussregenpfeifer (Charadrius dubius). Ihm gelten die folgenden Ausführungen.

Rund eine halbe Million Menschen wohnen am Alpenrhein. Aber nur rund 30 bis 40 Brutpaare der Flussregenpfeifer, das sind ein Viertel bis ein Drittel aller schweizerischen Brutpaare, leben am Alpenrhein. Seine Brutplätze sind vegetationsarme Kies-Schotter- und Sandflächen im Fluss. Diese finden sich bis zur Einmündung der Ill. Der Flussregenpfeifer ist dort eine Pionierart, welche die zeitweise bestehenden, weitgehend vegetationsfreien Kiesflächen besiedelt. Da dieser Lebensraum selten geworden ist, weicht der Flussregenpfeifer wo noch möglich auch auf Ersatzbiotope wie Kiesgruben aus.

Hier einige Aussagen zu dieser Vogelart.

Sein Steckbrief

Der Flussregenpfeifer ist in Mitteleuropa ein verbreiteter, aber wenig häufiger Brutvogel. Ein ausgewachsener Flussregenpfeifer wird 15 bis 18 cm gross und ist damit etwas kleiner als eine Amsel. Sein Rücken ist braun und die Unterseite ist weiss gefärbt. Der kurze Schnabel ist dunkel, er hat schwarze Augen mit einem gelben Augenring und ist an seinem schwarzen Halsband zu erkennen. In der Winterzeit ist er ein Langstreckenzieher und fliegt in den Mediterranraum und südlich bis über die Sahara nach Westafrika.

Er ernährt sich von Würmern und weiteren Wirbellosen und sucht seine Nahrung im seichten Uferbereich von Gewässern. Die Brutzeit erstreckt sich von April bis Juli. Das Nest wird schmucklos im offenen Boden in eine Mulde gelegt. Das Weibchen legt bis zu vier Eier und es kann zu zwei Bruten kommen. Der Flussregenpfeifer ist mit seinem einsilbigen Ruf „piu“ häufiger zu hören als dass man ihn zu Gesicht bekommen würde. Sieht man ihn dennoch, so fällt er mit seinen schnellen Trippelschritten auf und dann mit seinem brüsken Stehenbleiben.

Sein fragiler Lebensraum der Kiesbänke

Flussregenpfeifer bevorzugen wie erwähnt vegetationsarme Kies-, Schotter- und Sandflächen in natürlichen Flussauen. Und darum sind Flussregenpfeifer so selten wie intakte Auen. Die menschlichen Eingriffe in die einst intakten Auenlandschaften haben diesen Lebensraum dezimiert. Im verengten eingedämmten Flussbett vermindert sich die strukturelle Vielfalt. Der Pegel eines eingeengten Flusses schwillt schneller an. Mit der beginnenden Schneeschmelze werden rasch die ersten Kiesbänke überschwemmt. Es können sich dann kaum mehr Inseln bilden, die einen Schutz vor menschlichen Störungen und Landraubtieren bieten würden. Die natürlichen Abfolgen der Vegetationsabläufe mit ihren Zonierungen sind also nicht mehr gegeben, worunter häufig der Bruterfolg leidet. Es gibt im Alpenrhein noch etwa 60 Kiesbänke als mögliche Lebensräume bis zur Ill-Einmündung, wo diese dann durch die stärkere Wasserführung abtauchen.

Balz der Flussregenpfeifer auf Kiesinseln im Alpenrhein (Foto: Rainer Kühnis)

Es bleibt nicht bei diesen sich negativ auswirkenden Einengungen im Flussbett. Hier wird nochmals nachgehobelt. Bilden sich erhöhte Kiesbänke mit Vegetationsabfolgen, so werden sie aus wasserbaulichen Gründen als Abfluss-Hindernis abgesenkt. Solche vegetationslosen nivellierten Kiesbänke sind dann ein verlockendes, aber sehr gefährdetes Angebot für die Flussregenpfeifer, wobei häufig die Erstbruten zerstört werden. Dazu kommt im Alpenrhein noch der alltägliche unnatürliche Schwall und Sunk, der durch die Wasserausleitung und Rückgabe der Wasserkraftwerke erzeugt wird. Die Brutplätze werden weiters durch Freizeitnutzungen wie Beachpartys, freilaufende Hunde und Erholungssuchende gestört. Diese Störungen machen das Brutgeschäft extrem schwierig und minimieren den Bruterfolg.

Wie dem Vögelchen unter die Flügel greifen?

Die Rote Listen der gefährdeten und seltenen Vogelarten der Schweiz und Liechtensteins bezeichnen den Flussregenpfeifer als stark gefährdete Art. Er ist bei uns erstmals mit den Diskussionen über fünf geplante Staustufen zur Energiegewinnung im Alpenrheinzwischen Liechtenstein und dem st.gallischen Werdenberg ins breitere Blickfeld geraten. Im Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) zum Wasserkraftprojekt stand, dem Flussregenpfeifer würden die Kiesinseln zu 80-95% unter Wasser gesetzt. Das werde dadurch gemildert, dass sich oberhalb der Konzessionsstrecke weitere Brutplätze befinden. Das Projekt dürfe nicht an einer Vogelart scheitern. Das Projekt ist schliesslich an der Grundwasserfrage und der Ökonomie gescheitert.

Der Abschnitt bei Mastrils (GR) ist die letzte Referenzstrecke am Alpenmit einer Naturnähe (Foto: Rainer Kühnis).

Eine Interessengemeinschaft aus Naturschutzorganisationen setzt sich für den Schutz der Flussregenpfeifer im Alpenrhein ein und macht auf seine Bedrohung aufmerksam. Um die Art zu schützen, sind ungestörte Kies- und Sandbänke erforderlich. Schutzmassnahmen sind Besucherlenkung und Betretungsverbote der Kiesinseln während der Brutzeit wie dies etwa an der Thur ausgeübt wird.

Man kann ihm auch mit der Revitalisierung von Gewässerabschnitten mit der Schaffung von weiteren Lebensräumen helfen. Damit werden geplante Rheinausweitungen am Alpenrhein angesprochen. Es wäre schön, am Alpenrhein ein Eldorado für den Flussregenpfeifer zu erleben. Das wird sich mit einem späteren Monitoring für das spätere Rheinprofil zeigen. Und mit etwas mehr an pflanzlicher Sukzession am Alpenrhein wäre auch einer weiteren stark gefährdeten Art, dem Flussuferläufer, geholfen.

Mario F. Broggi, 30.11.2025