Am Strassenrand, im schmalen Streifen des Niemandslandes zwischen Asphalt und fettem Grünland, blüht von Juni bis Oktober eine blaue Wildschönheit, die Wegwarte (Cichorium intybus). Was wir als Blüte wahrnehmen, ist ein Verbund zahlreicher Einzelblüten in dichter Packung. Dadurch entsteht der Eindruck einer Megablüte. Ihr Himmelblau ist ein Blau vom Feinsten. Die Blüten werden von Wildbienen und Schwebfliegen besucht. Der Name dieser einheimischen Blütenstaude mit ihrem hohen Wuchs ist gut gewählt. Die Wegwarte scheint zudem endlos blühen zu wollen. Sie ist ein Tiefwurzler, die Grundblätter ähneln denen des Löwenzahns und überleben meist den Schnitt der Strassenmeistereien. Den Pflanzenschutzmitteln und dem Mulchen fallen sie hingegen zum Opfer.

Die Wegwarte gedeiht als Pionierpflanze auf Ruderalflächen (lat. rudus= Schutt), sonstigen Restflächen sowie auf lichten Äckern und Weiden. Mir scheint, sie werde seltener, insbesondere dort, wo ich sie flächig blühend in Erinnerung habe. Sie wurde durch sattes Grün ersetzt.

Wegwarte (vorne links) in typischer Randlage zwischen Futterwiese und Strasse

Ich wohnte 45 Jahre am oberen Rand von Triesen (Liechtenstein). Unterhalb des ehemaligen Spoerryweihers zur Nutzung der Elektrizität verblieb dort ein Stück beweidetes Land. Hier wächst die Wegwarte dicht zu Tausenden, ein blaues Meer. Sie ist eine „Blumenuhr,“ die Blüte öffnet sich zu gewissen Zeiten und schliesst sich Stunden später und verblüht zugleich. So konnte man morgens dem Himmelblau begegnen, während Stunden später alle Blüten geschlossen waren.

Wozu ist die Wegwarte sonst noch gut? Ihr wurde Zauberkraft zugemessen. Sie gilt als Heilkraut, so bei Milzleiden, und sie soll auch die Augenkraft stärken. Kneipp empfahl sie bei Magen-Darm- und Leberleiden. Sie ist auch essbar, vor allem im frühen Vegetationsstadium als Salat wie Gemüse. Ihre Kulturform Zichorie wurde in der Zeit des Zweiten Weltkrieges mit ihren Wurzeln als Kaffeeersatz verwendet. Ich entsinne mich, dass sie auch danach noch den gemahlenen Kaffeebohnen beigemischt wurde, um diese zu strecken. Dies als eine Nachkriegserinnerung.

Die Wegwarte findet trotz der Schönheit ihrer Blüten eine geringe Beachtung. Es wird nicht genauer hingeschaut. Ich nahm sie in Erinnerung an ihre ausdauernde Blühkraft auf meine Pendenzenliste der zu beschreibenden Arten. Wie überrascht war ich dann, ihr Portrait in der Linzer Zeitschrift ÖKO-L 47/2 (20125) – „Die Wegwarte (Cichorium intypus) – zu wenig beachtete Schönheit am Strassenrand“, vorzufinden. Dr. Josef Reichholf, Evolutionsbiologe, aus Neuötting (Bayern) setzte sie in seinen Garten und beobachtete ihren Blührythmus und ihre Besucher mit Akribie und zeichnete dies detailliert in seinem Aufsatz auf. So erfahren wir Erstaunliches über diese Pflanze, die wohl einst mit den Römern in unsere Breiten eingewandert ist.

Mario F. Broggi, 1.9.2025