Wir erleben aktuell Naturereignisse, wie man sie noch nie kannte. Die Rhone führte um Siders eine höchste gemessene Wassermenge. Man spricht von Jahrhunderthochwasser, dabei hatte die Rhone bereits im Herbst 2000 Dammbrüche erlebt. Im bündnerischen Misox haben Gerölllawinen Häuser zerstört, Menschenleben gefordert, die Nationalstrasse A13 entlang der Moesa wurde auf 200 Metern spektakulär weggerissen. Im hinteren Maggiatal fielen lokal innert weniger Stunden über 200 mm Niederschlag, ein wahres Inferno, wobei man doch auf der Südabdachung an Starkregen gewöhnt ist. Die schwüle Luft am Alpenrand erneuerte die Gewitter immer wieder. Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit enthalten, entsprechend heftiger fallen Starkniederschläge. In Cannero am Lago Maggiore erlebte ich bei diesem sintflutartigen Niederschlag, dass sich der See braunrot färbte, was ich noch nie gesehen hatte. Es dürfte eine Kombination von Sedimentfracht verbunden mit Saharastaub gewesen sein. Die sieben hochstämmigen Bäume auf meinem Grundstück wurden in den letzten Jahren von Wirbelwinden zerrissen. Zyklone waren dort vorher nicht bekannt. Die Erhitzung im Alpenraum verläuft doppelt so rasch wie sonst auf dem Kontinent. 3 Grad Erwärmung dürften bis Ende des Jahrhunderts erreicht werden statt der politisch sanktionierten 1.5 Grad. Die Extremereignisse werden sich dann nicht verdoppeln, sie können exponentiell zunehmen.
Die Schweiz investiert jährlich gegen 3 Milliarden Franken in den Schutz vor Naturgefahren, wovon 1.2 Mia. auf die Öffentlichkeit entfallen. Die bisherigen Investitionen in Schutzbauten werden auf 50 Mia geschätzt. Wenn nun aber alles mehrfach passiert, wie derzeit auf der Alpensüdseite und im Wallis, kann das ökonomisch schwierig werden. Nach den inzwischen erstellten Gefahrenzonenplänen leben hierzulande 1.8 Millionen Menschen in potenziell gefährdeten Gebieten, und dies trifft ein Fünftel der Bevölkerung allein im Hochwasserbereich.
Im Jahr 2006 erstellten vier Architekten und ein Geograph ihre Visionen zur «städtebaulichen Zukunft der Schweiz» am ETH Studio Basel. Sie schlugen vor, strukturschwache Täler als «alpine Brache» verganden zu lassen, das heisst dort nicht mehr zu investieren und auf Subventionen zu verzichten. Es wurde im Bericht ausgesagt, dass das «Ländliche» als fixe Idee in den Köpfen der Menschen existiert, die reale Welt aber anders aussehe. Die Idylle des Ländlichen pralle auf die Realitäten u.a. des Klimawandels oder der Biodiversitätsverluste. Die Studie löste in den Berggebieten eine Welle der Empörung aus. Das traf die föderalistische Schweiz in ihrem Innersten. Zugegeben, dem Tabubruch fehlte eine begleitende Kommunikation. Mit dem laufenden Klimawandel und den jetzigen verdichteten Ereignissen, die wir aus Menschensicht als Katastrophen bezeichnen sowie die erkannten Notwendigkeiten für den Erhalt der biologischen Vielfalt , kommt dieser Tabubruch des Jahres 2006 wieder auf den Tisch.